
Die Ausstellung Naherholungsgebiet ist im Rahmen eines Seminars von Dr. Inke Arns, Gastprofessorin für kuratorische Praxis an der Kunstakademie Münster, entstanden. Ausgangspunkt ist die Parallele von Aasee und Wewerka-Pavillon: Beide sind gleichermaßen unzugänglich. Im Aasee darf man (wegen der schlechten Wasserqualität) nicht baden, den Wewerka Pavillon darf man nicht betreten. So entstand die Idee, mit Studierenden der Kunstakademie Münster ein Naherholungsgebiet im Wewerka Pavillon anzulegen.
Ein Naherholungsgebiet ist ein oft stadtnah gelegenes (Natur-)Gebiet, das der Regenerierung gesellschaftlicher Arbeitskraft dienen soll. Erscheint das Thema zunächst etwas aus der Zeit gefallen, erweist es sich auf dem zweiten Blick als höchst politisch: Wir alle befinden uns im Zustand permanenter Erschöpfung und Verausgabung, sei es durch langjährige Pandemie, prekäre Arbeitsverhältnisse oder Kriegsnachrichten, und wir versuchen, diesem Zustand mit leibhaftiger Erholung, stiller Kontemplation oder radikalem self-care zu begegnen.
In der Ausstellung mit zwölf Positionen finden sich Installationen, die die Grenze zwischen privatem und öffentlichem (Erholungs-)Raum verwischen (Alma Camara, Maren Ernsting, Finn Froböse) sowie eine skulpturale Arbeit, die sich auf den Namensgeber des Wewerka Pavillons bezieht (Mandukhai Ariunbold). Eine weitere Installation adressiert die Wechselwirkung von Anpassung und Entspannung (Tuğba Durukan). Zwei partizipative Arbeiten fordern zur Mitwirkung auf: Wir können Urlaubspostkarten vom Wewerka Pavillon verschicken (Hannah Moraw) und Botschaften an Unbekannte senden, die letztlich immer zu uns selbst zurückkehren (Jan-Niklas Thape). Es geht in einigen Arbeiten auch um unsere Beziehung zur Natur (Alina Schmidt) – um Meditation in der Natur (Philip Enrique Jordan) und um den Aasee, dessen Wasser mittels eines Tropf- und Verdunstungsprozesses gereinigt wird (Nicole Widner). Eine Live-Performance zur Eröffnung geht von konkreten Arbeitsgeräuschen in etwas wie Naherholung über (Martin Schlathölter & Stefan Hemkendreis). Und jeden Sonntag zwischen 13-17 Uhr kann das Publikum einen Künstler live beim Erholen erleben (Micael Gonçalves Ribeiro)!
Mit: Mandukhai Ariunbold, Alma Camara, Tuğba Durukan, Maren Ernsting, Finn Froböse, Philip Enrique Jordan, Hannah Moraw, Micael Gonçalves Ribeiro, Martin Schlathölter & Stefan Hemkendreis, Alina Schmidt, Jan-Niklas Thape, Nicole Widner
Postionen :
Mandukhai Ariunbold

Der Stuhl
Zwei Skulpturen, Plexiglas, 2022
In „Der Stuhl“ geht es darum, die Funktion von alltäglichen Gegenständen zu hinterfragen und diese in Bewegung zu bringen. Ich bediene mich der Grundform des Stuhls und bearbeite seine Außengrenzen, so dass sich das Objekt von der Form des Stuhls befreit. Mich interessiert die Grenze zwischen Design und Kunst und ich spiele mit dieser Grenze, die eine zwischen Funktionalität und Dysfunktionalität ist. So ist der Stuhl zwar nutzbar, gleichzeitig aber auch nicht nutzbar. Man setzt sich auf einem Stuhl, wenn man müde ist – um sich zu erholen. Auf meinen Stuhl-Skulpturen kann man zwar sitzen, aber es ist nicht gemütlich oder angenehm. Man kann sich nicht wirklich erholen. In meiner Arbeit gibt es einen klaren Bezug zur Stefan Wewerka, der den Wewerka Pavillon gebaut hat. Seine berühmte Arbeit „Classroom Chair“ (1970) spielt humorvoll mit der Grenze zwischen Funktionalität und Dysfunktionalität und verleiht dem Objekt eine einzigartige Bewegung. (MA)
Alma Camara

Sounddusche(n)
Soundinstallation, Gipsskulpturen, Komposition, 20:00 Min., 2022
Die Soundinstallation beschallt den Innenraum des Wewerka-Pavillons. Die Sounds sind aber auch außerhalb zu hören. Die Komposition besteht aus Audio-Aufnahmen aus zwei „Naherholungsgebieten“: Wir hören einerseits Wasser-Aufnahmen des Aasees, die in der Umgebung des Wewerka-Pavillons gemacht wurden. Andererseits wurden Aufnahmen aus der heimischen Dusche integriert sowie Natur- und Umgebungsaufnahmen des ganz privaten Naherholungsgebiets der Künstlerin. Zwei Skulpturen, die an eine Dusche und parkähnliche Wiesenflächen erinnern, werden zum tragenden Soundobjekt, leiten den Sound nach außen und machen ihn so zugänglich: Wir hören Aufnahmen, die in Innenräumen gemacht wurden und Sounds des Duschvorgangs und des ihn begleitenden typischen Summens. Ebenso hören wir das Plätschern eines Baches, nächtliches Surren und melodische Gesangskompositionen. Was ist privat, was öffentlich? Was ist innen / außen? Wo beginnt oder endet das Naherholungsgebiet? Wie weit ist es entfernt? (IA/AC)
Tuğba Durukan

anpassen
Installation, gefrästes Holz (Stempel), Spanngurte, 2022
Viele meiner Arbeiten setzen sich mit dem (Schrift-)Zeichen als Kommunikations-medium auseinander und hinterfragen dieses. Die Arbeit „anpassen“ spielt darüber hinaus mit dem im Begriff der „(Nah-)Erholung“ angelegten Widerspruch. Von außen gesehen wirkt man erholt, ausgeglichen, weil etwas verkörpert wird – der Islam. Diese scheinbare Erholung, die von anderen auf mich projiziert wird, wird zu meinem Dilemma. Ich befinde mich in einer Situation der Anpassung, des immer Erklären-Müssens, des Rationalisierens und des Vereinfachen-Müssens. Ich habe gelernt, mich anzupassen, um meine (scheinbare) Erholung zu finden – was jedoch dazu führt, dass ich mich in einem Zustand der Nicht-Bewegung, des Nicht-Wachsens befinde, weil ich mich „anpassen“ muss.
Das Thema des „Es-Immer-Passend-Machen-Müssens“ zieht sich durch meine Arbeiten, auch in meiner Beziehung zur Religion. Je mehr ich es „passend machen“ will, desto mehr merke ich, dass es nicht passt und ich zu wenig Wissen habe. Meine Realität, die ich zu kennen glaube, verzieht sich. Und setzt sich neu? (TD)
Maren Ernsting

ohne Titel
Badelaken, Farbfleck, Sonnenhut, Sonnenbrille, Handy, Kopfhörer, 2022
Die Arbeit basiert formal auf einer persönlichen Erinnerung der Künstlerin. Mit 11 Jahren bekam sie im Freibad ihre Periode und fuhr daraufhin weinend nach Hause, da nicht wusste, wie sie damit umgehen oder was sie ihren Freundinnen sagen sollte. Das Werk beschäftigt sich mit den universellen Erfahrungen, die menstruierende Personen teilen, und dem Schamgefühl, welches mit diesem Thema verbunden wird. (ME)
Finn Froböse

10 Minuten
Toilettensitz, Video auf Mobiltelefon, Holz, Arbeitskleidung, 2022
Die Arbeit „10 Minuten“ setzt sich mit einem besonderen Moment der Selbstermächtigung auseinander. Gemeint ist die häufig von Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen genutzte Möglichkeit, sich jederzeit auf die Toilette zurückziehen zu können. Zwar immer zeitlich begrenzt (10 Minuten sind meiner Erfahrung nach das Maximum, was man sich ohne weitere Nachfragen bei Chef und Kolleg*innen erlauben darf), findet auf der Toilette doch ein Ruhemoment statt, ein völliges sich rausziehen, die Arbeit bleibt einen Moment lang liegen und ich bin jetzt selbstbestimmt und mache unabhängig von meiner eigentlichen Pause eine kleine extra Pause auf der Toilette. Dass es mich dabei nicht drängt, im eigentlichen Sinn auf die Toilette zu gehen, ist egal – immerhin ist die Toilette (ob offen oder geschlossen) ein Sitz und die Kabine ein Raum, in dem ich mich kurz vor meiner Verantwortung drücken kann. Die Toilettenkabine kann ein Ersatz für den Pausenraum sein. Weitergedacht ist der Sitz dann die Couch und das Mobiltelefon der Fernseher. Auf diesem laufen dann die besten Aufmerksamkeits-Sauger, YoutubeShorts, Instagram-Reels oder Tiktok werden, je nach Vorlieben, herangezogen um uns kurz in eine andere Welt schauen zu lassen, einen Scroll weiter wieder eine andere Welt und so weiter, immer weiter, bis 10 Minuten vergangen sind und immer noch nicht ganz klar ist, ob man jetzt aufhören kann oder doch nochmal swiped. Die Objekte dienen dem Zweck, diese ganz bestimmte Situation auf der Toilette sitzend, gefangen in den Scrollholes von Social Media, darzustellen – und sind ein ironischer Kommentar auf den Ausstellungstitel Naherholungsgebiet. (FF)
Philip Enrique Jordan

Torso Substanz
Skulptur: Keramik 18 x 45 x 60 cm, Sand, Palme, 2022
Fantasiereise:
Auf einer einsamen Insel ohne Wasser, ohne Nahrung.
Endlich Zeit
Ich komme zur Ruhe. Entspanne mich, lass alle Gedanken los
und konzentriere mich auf meinen Atem.
Ich spüre meinen Herzschlag.
Bei meiner Arbeit liegt der Fokus auf dem Innenraum
des menschlichen Torsos – besonders auf Herz,
Lungen und Wirbelsäule. (PEJ)
Hannah Moraw

Liebe Grüße vom Wewerka Pavillon
Postkartenspender, selbstentworfene Postkarten, 2022
An einem dieser Postkartenständer, auf dem sich die kitschigen Motive überbieten, ist bestimmt jede*r schon einmal stehengeblieben. Trotz einfacherer Mitteilungsarten muss das Ansichtskartenschreiben noch immer so verbunden mit der Urlaubsreise sein, dass man sie an jedem (Erholungs-)Ort entdecken kann. Hannah Moraw fasziniert der Wunsch, die eigene Position mit einer nicht-anwesenden Person zu teilen. An wen denkt man, wenn man durch die Motive stöbert? Wessen Adresse hat man im Kopf? An wen schickt man sonnige, stürmische oder liebe Grüße? Gibt es eine bestimmte Postkarten-Sprache? Und was sagt es über den Ort aus, von dem man schreibt? Besuchende werden durch die für die Ausstellung Naherholungsgebiet entworfenen Ansichtskarten angehalten, diesem Impuls nachzugehen und Liebe Grüße vom Wewerka Pavillon zu versenden.
Sind alle Postkarten vergriffen? Sagen Sie gerne bei postkartenwewerka@gmail.com Bescheid. (HM)
Micael Gonçalves Ribeiro

Man gönnt sich ja sonst nichts
Sonnenliege, Handtuch, Sonnenreflektor, Freizeitkleidung, 2022
Der Künstler ist anwesend: Sonntags, 13-17 Uhr (vor dem Pavillon)
Der Künstler erholt sich jeden Sonntag von 13-17 Uhr live vor dem Wewerka Pavillon, ausgestattet mit Liege, Handtuch, Sonnenreflektoren, Sonnencreme und passender Freizeitkleidung. Gelegentlich werden Raucherpausen eingelegt. Die öffentliche Erholung ist Teil seines strengen wöchentlichen Selfcare-Programms. (IA)
Martin Schlathölter & Stefan Hemkendreis

Ich bin ein Mensch und keine Maschine
Live-Performance zur Ausstellungseröffnung am 23. August 2022 mit Sounds von einem Arbeitseinsatz von Stefan Hemkendreis und aus dem Ausbildungsbetrieb von Martin Schlathölter, Komplette Audio-Aufnahme der Performance auf Soundcloud – https://on.soundcloud.com/Xikb – kurze Videodokumentation 11min., Monitor, Overalls 2022
Ich bin ein Mensch und keine Maschine ist eine musikalisch performative Auseinandersetzung mit der Arbeit eines Auszubildenden, die aus der Verrichtung unliebsamer monotoner Aufgaben und deren Niederschrift in Berichtsheften besteht, sowie einer anderen Art der Naherholung. Besonders junge Menschen erholen sich weniger im klassischen Sinne im Naherholungsgebiet sondern eher beim Feiern und Party machen zum Beispiel draußen oder in Clubs und Diskotheken auf Festivals und Konzerten oder beim Musizieren. Im künstlerischen Schaffensprozess ist alles miteinander verkettet, die Grenzen zwischen anstrengender Arbeit und Erholung verschmelzen.
Soundaufnahmen von Maschinen des Metallbau-Ausbildungsbetriebes von Martin Schlathölter und Aufnahmen eines Arbeitstages des gelernten Tontechnikers Stefan Hemkendreis bilden das Grundgerüst der Soundarbeit, in der zum Ende hin die Geräusche der Arbeit mehr und mehr verschwinden und im besten Fall die Naherholung einsetzt. Ob das Naherholungsgebiet nun eher der Club bzw. die Disco selbst ist oder die Tanzfläche bzw. der Bereich, in dem man die Musik wahrnimmt, das Festivalgelände bzw. der Konzertort, lässt sich allerdings nicht so leicht beantworten. (MS & SH)
Alina Schmidt

Chill Spot
Malerei, Acryl auf Holzplatte, (H) 150 cm x (B) 200 cm, 2022
Ich möchte die Menschen dazu anregen, die Natur wieder zu wertzuschätzen. Das Bild „Chill Spot“ lädt die Betrachter*innen ein, aus ihrer eigenen Lebenssituation heraus zu spüren, zu denken, zu reflektieren, um evtl. ihr Leben neu auszurichten – und entspannter zu werden. Ich wünsche mir, dass sich die Menschen beim Betrachten meines Bildes erholen können, dass sie die Natur wertschätzen und sie schützen. Ausgehend davon, dass die Natur im Alltag der meisten Menschen keinen natürlichen Stellenwert mehr hat, versuche ich mit diesem Bild, die Natur und die Möglichkeiten, die die Natur bereithält, erneut in das Bewusstsein der Menschen zu holen. Bereits beim Anschauen des Bildes sollen sich die Betrachter*innen fragen, wo der abgebildete Ort ist und wie man dort hinkommt. Gelingt dies, und die Betrachter*innen erkennen den Wert eines solchen Naherholungsgebietes, werden sie sicherstellen wollen, dass diese Art von Natur immer in ihrer Nähe bleibt. (AS)
Nicole Widner

Ich will doch nur das Beste für dich und mich
Installation mit Wasser aus dem Aasee, Aquarium (60l), Tropfvorrichtung, 2022
Ich habe 60 Liter Wasser aus dem Aasee in ein Aquarium gefüllt. Aus dem Aquarium führt ein Schlauch über einen Bewässerungsapparat zu einem Tropf. Die Tropfen fallen zu Boden, auf eine Platte, und durch Trocknungsprozesse entstehen Ablagerungen aus den verschiedenen Bestandteilen des Aasees.
Der Aasee erholt sich – er schwitzt sich aus und zurück bleiben die toxischen Reste (s.u.), die im See enthalten sind. Aus diesen Verunreinigungen bilden sich mit der Zeit auf der Platte Ablagerungen. Diese können sich über einen sehr langen Zeitraum zu Stalagmiten entwickeln. So würde aus den toxischen Abfällen eine „Tropfsteinhöhle“ entstehen – etwas, was man durchaus mit einem „Naherholungs-gebiet“ verbindet. Da der zweimonatige Erholungsprozess des Aasees jedoch wahrscheinlich nicht ausreichen wird, um erste Tropfsteinansätze zu sehen, liegt das Hauptaugenmerk auf dem Prozess des Ausschwitzens. Die Vorstellung, dass mittels dieses Tropf- und Verdunstungsprozesses ein echter (hochtoxischer) Stalagmit entstehen könnte, ist jedoch eine schöne Vorstellung. (NW)
„Das Baden und Surfen im Aasee ist gegenwärtig verboten und wegen der schlechten Wasserqualität, insbesondere in den heißen Sommermonaten, auch nicht zu empfehlen. … Hauptprobleme sind die sich durch Überdüngung massenhaft vermehrenden Blaualgen, aber auch Colibakterien. Hautkontakt mit dem Aaseewasser kann im Sommer zu Reizungen führen, beim Verschlucken kann es zu lebensgefährlichen Erkrankungen kommen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Aasee_(Münster)#Wasserqualität)
Jan-Niklas Thape

Wähle deine Worte weise
Zwei Kästen, Papier, Briefumschlag, Stift, Anleitung, 2022
In meiner Installation versuche ich, Begegnungen zwischen fremden Menschen zu ermöglichen. Ich fordere die Teilnehmenden konkret auf, eine Nachricht an eine ihnen fremde Person zu schreiben und diese zu hinterlegen. (JNT)
A n l e i t u n g :
„Lesen Sie die Anleitung in Kasten 1. Wenn Sie bereit dafür sind, folgen sie den Anweisungen und hinterlassen eine Botschaft für jemand Fremden auf dem Papier. Begeben Sie sich zu Kasten 2. Dort erhalten Sie weitere Informationen.“